Der Deutsche-Fußball-Bund hat zwei Forschungprojekte zur Geschichte des DDR-Fußballs auf den Weg gebracht. Dr. Jutta Braun und Michael Barsuhn vom Zentrum deutsche Sportgeschichte (ZdS) in Berlin erhielten den Zuschlag zur Erforschung der „Organisations- und Klub-Geschichte“. Ihr Projektteil wird in enger Kooperation mit dem Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF) bearbeitet. Dr. Kai Reinhart und Dr. René Wiese von der Westfälischen Wilhelms Universität in Münster sowie Dr. Darius Wojtaszyn vom Willy-Brandt-Zentrum der Universität Wrocław widmen sich dem Thema „Kultur- und Alltagsgeschichte“. Am 1. Juli 2014 begannen beide Teams mit ihren Forschungsprojekten.
„Matthias Sammer, Ulf Kirsten, Thomas Doll – nur einige Namen, die zeigen, dass der deutsche Fußball durch die Wiedervereinigung 1989 phasenweise einen starken Zugewinn erlebt hat. Aktuell sind die neuen Bundesländer mit Toni Kroos aus Greifwald in der Nationalmannschaft vertreten. Mit dem Projekt wollen wir eine Forschungslücke schließen. Wir sind gespannt auf die Erkenntnisse der Historiker, die sicher auch über den Fußball hinaus Interesse auslösen werden“, sagt DFB-Präsident Wolfgang Niersbach.
Das Projekt ist auf zwei Jahre bis zum 30. Juni 2016 ausgelegt. Seitens des DFB wird das Projekt durch den Vorsitzenden der AG-Wissenschaft, Prof. Dr. Martin-Peter Büch in Zusammenarbeit mit einer Expertengruppe eng betreut.
„Mehr als 20 Jahre nach dem Mauerfall wird der vereinte deutsche Fußball in der öffentlichen Wahrnehmung fast ausschließlich in der westdeutschen Tradition gesehen. Dabei gab es über 40 Jahre einen eigenständigen Fußball im Osten“, sagt Dr. Jutta Braun, die gemeinsam mit Michael Barsuhn und Dr. René Wiese auch das entstehende Deutsche Fußballmuseum in Dortmund berät.
Der Projektteil von Dr. Jutta Braun und Michael Barsuhn wird das besondere Verhältnis des Deutschen Fußball-Verbandes der DDR (DFV) zur politischen Führung untersuchen. Im Gegensatz zu den Fußballverbänden in den alten Bundesländern, die sich als autonom und parteipolitisch unabhängig definierten, verstand sich der DFV stets als Teil und Botschafter der sozialistischen Gesellschaftsordnung mit einem klaren Bekenntnis zum Kurs der SED. Anhand von vier ausgewählten Klubs soll hierbei u.a. erforscht werden, inwieweit der Fußball vom Netzwerk der Staatssicherheit durchdrungen war. Auch die „Olympiafixiertheit“ der SED stellte den Fußball vor besondere Probleme. Doch gab es auch unvergessliche Erfolge in der ehemaligen DDR, die beiden größten im Jahr 1974: Sparwassers Tor bei der WM gegen die Bundesrepublik und der Sieg des 1. FC Magdeburg über den AC Milan im Finale des Europapokals der Pokalsieger. Das Projekt soll ausloten, wie sich der Fußball mit seiner „Eigenwelt“ vielfach über die hemmenden Vorgaben des Sozialismus hinwegsetzen konnte.
Im Projektteil von Dr. Kai Reinhart, Dr. René Wiese und Dr. Darius Wojtaszyn wird zum einen erforscht werden, wie sich die Fankultur unter den Bedingungen einer sozialistischen Diktatur entwickelte: Fragen nach den lokalen/nationalen Identitäten und Rivalitäten, nach der Alltagskultur der Fans zwischen Autonomie und staatlicher Kontrolle sowie nach dem Problem der Gewalt unter den Fußballfans stehen dabei im Zentrum. Zum anderen werden sich die Wissenschaftler den Fußballstars in der DDR widmen: Wie wurden die „Staatsamateure“ ausgebildet, wie verliefen ihre Karrieren zwischen Autonomie und Fremdbestimmung, wie wurden „sozialistische Helden“ geboren und „Verräter“ abgestraft? Der kulturgeschichtliche Ansatz der Projektgruppe in Münster hat somit vor allem die eigensinnigen Züge des Fußballsports in der DDR im Blick. Sowohl auf sportlicher Ebene als auch auf der Seite der Zuschauer und Fans blieb er stets wohltuend unkalkulierbar.