20.09.2018: Podiumsveranstaltung „Eintracht Braunschweig im Kalten Krieg“

Im Sommer 1966 sorgt eine Neuverpflichtung der Braunschweiger Eintracht für gewaltige Schlagzeilen. Der Jenaer Fußballstar Michael Polywka soll das Team zukünftig verstärken. Dieser Neuzugang hat jedoch einen sportpolitischen Beigeschmack. Zum einen ist die Flucht eines DDR-Fußballers seit dem Mauerbau 1961 eine riskante Unternehmung geworden, zudem herrscht seitdem eine sportpolitische Eiszeit zwischen beiden deutschen Staaten. Zum anderen hat die Eintracht erst wenige Wochen vorher in zwei Inter-Toto-Cup-Duellen gegen Jena gespielt, sodass der Vorwurf der Abwerbung in der DDR schnell die Runde macht. Tatsächlich ist die Braunschweiger Vereinsführung in die Fluchtabsichten Polywkas eingeweiht, greift, um sportpolitischen Querelen aus dem Wege zu gehen, in seine Fluchtpläne ein und versteckt ihn einige Tage auf Helgoland. Jede Verbindung zu Polywkas Flucht soll damit aus der Welt geschafft werden. Diese Vorsicht ist nicht unbegründet. Bereits Anfang der 1950er Jahre fanden Fußballstars aus der DDR ihre neue sportliche Heimat an der Hamburger Straße. Doch erschwert gerade diese Tatsache später die Aufnahme eines Freundschaftsspielverkehrs mit DDR-Mannschaften enorm. Während andere Nord-Oberligisten in den 1950er Jahren in die DDR reisen, um den Traum von der Einheit Deutschlands durch Fußballspielen am Leben erhalten, wird Eintracht geschnitten.

Gerade dieses sportpolitische Spannungsverhältnis zwischen der „Republikflucht“ einiger Eintracht-Fußballer (zu denen auch der 1983 möglicherweise von der Stasi in Braunschweig ermordete Lutz Eigendorf zählt) und dem Wunsch des Vereins nach Kontakten zu DDR-Mannschaften, um die menschliche Annäherung im geteilten Deutschland über den Fußballsport zu ermöglichen, ist ein immanenter Bezugspunkt in der deutsch-deutschen Geschichte von Eintracht Braunschweig. Unsere Veranstaltung möchte die vergessene Fußballrealität im geteilten Deutschland wieder ins Gedächtnis rufen und die Erinnerungen wichtiger Zeitzeugen teilen und diskutieren. Gesellschaftliche und politische Verhältnisse werden am Beispiel des Fußballs sichtbar und können auf aktuelle Fragen des Zusammenlebens bezogen werden. Fußball ist daher ein wichtiger Anknüpfungspunkt für politische Bildung.

Eintracht Braunschweig und die Niedersächsische Landeszentrale für politische Bildung haben eigens dafür Historiker und Zeitzeugen am 20.09.2018, 19.00 Uhr in das Stadion-Restaurant „Wahre Liebe“, Hamburger Str. 210 geladen. Nach einem Vortrag von Dr. René Wiese (Zentrum deutsche Sportgeschichte, Berlin) sollen diese Gäste zu Wort kommen: Horst Wolter (Rekord-Nationalspieler und Mitglied der 1967er Meistermannschaft von Eintracht Braunschweig), Winfried Herz (kam als einer der besten Spieler der DDR nach seiner Flucht 1951 mit Oberländer und Wozniakowski nach Braunschweig) und Gerhard Glogowski (ehemaliger Braunschweiger Oberbürgermeister, Innenminister und Ministerpräsident des Landes Niedersachsen sowie Ehrenpräsident des Vereins). Die Moderation übernimmt Gerhard Gizler, der bei Eintracht Braunschweig für die Ausstellung und die Vereinsgeschichte zuständig ist.

 

Veranstaltungsnachlese